Kürzlich bin auf den Dokumentarfilm „Afghanistans verkleidete Mädchen“ aufmerksam geworden. Was ich während diesen 44 Minuten gesehen habe, beeindruckte mich derart, sodass ich mich entschieden habe, darüber zu schreiben. Der Link zum Film finden Sie am Ende meines Beitrags.
Rosmana und Toheba sind auf den ersten Blick zwei normale afghanische Mädchen. Das lange Kopftuch fällt auf ihre Schultern, der rote Nagellack glänzt in der Sonne. Erst wenn die beiden ihr Kopftuch ablegen, werden ihre kurzen, strubbeligen Haare sichtbar und sobald die braunen Hosen angezogen sind, erkennt man die Mädchen nicht wieder. Aus Rosmana und Toheba werden Mohamed und Shafi. Nur der Nagellack verrät ihr Geheimnis: Rosmana und Toheba führen ein Doppelleben.
Masar-e Scharif- die viertgrösste Stadt Afghanistans. Hier lebt Zalmai mit seiner Familie. Seine Frau hat neun Kinder zur Welt gebracht, neun Mal haben die beiden auf einen Sohn gehofft und doch sind es neun Mädchen geworden: Eine unvorstellbare Demütigung für die Familie. Unter den Mädchen sind auch Rosmana und Toheba, welchen Aufgabe es ist, den fehlenden Sohn zu ersetzen. Sie sind sogenannte „Bacha Posh“, was übersetzt soviel wie „als Junge verkleidet“ bedeutet. Toheba geht nicht zur Schule. Mit einem Selbstbewusstsein, das normalen Frauen nicht zusteht, arbeitet sie den ganzen Tag als einziges Mädchen auf der Strasse einer männerdominierten Gesellschaft.
Frauen haben in Afghanistan keinerlei Freiheiten. Ihr ganzes Leben lang verstecken sie sich zuhause hinter meterhohen Mauern und kümmern sich um den Haushalt. Ohne männliche Begleitung auf die Strasse zu gehen ist ihnen nicht gestattet. Sie sind verpflichtet, sich in der Öffentlichkeit bis auf das Gesicht und die Hände zu verschleiern.
Dies gilt aber nicht für Rosmana und Toheba, wenn sie ihre Männerkleidung tragen. Sie dürfen sich frei auf den Strassen bewegen, sie dürfen bei „Männersachen“ mitmachen, wie zum Beispiel in die Moschee gehen oder bei den traditionellen Reiterspielen im Publikum sitzen. Sie dürfen laut lachen und Drachen steigen lassen. Doch Toheba will das alles nicht mehr. Freiwillig verzichtet sie auf die Freiheiten, um zuhause, ausgeschlossen von der Gesellschaft zu leben und ihr Glaubensbekenntnis zu lernen. Ihr Vater hat bereits ihre sechsjährige Schwester Basur als Nachfolgerin bestimmt. Diese wird in Zukunft Tohebas Arbeiten in der Autowerkstatt erledigen und einkaufen gehen, sie wird all das tun, was den afghanischen Frauen vorenthalten und verboten ist.
Die „Bacha Poch“ sind in Afghanistan und Pakistan keine Seltenheit. Im von arte ausgestrahlten Dokumentarfilm „Afghanistans verkleidete Mädchen“ befragte Schulmädchen sind entsetzt über die Vorstellung, sich als Jungs verkleiden zu müssen. Auch eine ehemalige „Bacha Poch“ steht nicht zu diesem traditionellen Verkleidungsspiel, obwohl sie als verkleidetes Mädchen sehr viel Selbstvertrauen gewonnen habe, was ihr heute in ihrem Beruf als Politikerin sehr helfe.
Das Streben nach Freiheit scheint für die Frauen in Afghanistan nicht so wichtig zu sein, wie Glauben oder Religion. Doch die Freude und das pure Glück, das Toheba und Rosmana beim Drachensteigen ausstrahlten, lässt mich diese Tatsache nur schwer verstehen.
Patricia Zwahlen
- Den Dokumentationsfilm können Sie bei Interesse >hier nachschauen.
- Jenny Nordberg hat übrigens sogar ein Buch zu dem Thema geschrieben.