Häusliche Gewalt ist ein Thema, das die Medien und die Bevölkerung schon zu lange beschäftigt. Doch es darf nicht lockergelassen werden: Erst wenn keine Frau in ihren eigenen vier Wänden mehr Angst haben muss, ist der Kampf gegen häusliche Gewalt vorbei.
ora international hat der häuslichen Gewalt mit dem Projekt «BH gegen Gewalt» den Kampf angesagt, womit gewaltbetroffenen Frauen in Rumänien geholfen wird. Im Rahmen dieses Projekts werden gut erhaltene BH’s in der Schweiz gesammelt und nach Rumänien in das Frauenhaus der Kleinstadt Gheorgheni geschickt. Dort werden sie von den Bewohnerinnen des Frauenhauses aufbereitet und anschliessend verkauft. Daraus erzielen sie ein kleines Einkommen, das sie auf ihrem Weg in ein gewaltfreies, unabhängiges Leben unterstützt. Dieses Verarbeiten stellt auch eine wichtige Ablenkung in Form einer Aufgabe dar, die den Frauen Selbstbewusstsein gibt. Schliesslich wird auf das Thema der häuslichen Gewalt aufmerksam gemacht, das im ländlichen Rumänien noch immer ein Tabuthema ist. Frauen müssen wissen, dass sie Rechte haben und dass ein selbstständiges Leben durchaus möglich ist. Diese Aktion verfolgt folglich mit dieser kleinen (oder grossen, je nach Cup-Form) Unterstützung das Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“.
Auch die direkte finanzielle Unterstützung ist für das Frauenhaus sehr wichtig, denn dort erhalten die von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen Unterschlupf und psychologische Betreuung, die für Gewaltopfer besonders wichtig ist. Die psychologische Beratung hat noch einen weiteren wichtigen Grund, nämlich soll den Frauen ein unabhängiges Leben ermöglicht werden. Viele Frauen glauben, ohne ihren Mann nicht überleben zu können oder haben das Gefühl, ihren Kindern den Vater wegzunehmen. Im Anschluss kehren manche zu ihren gewalttätigen Männern zurück. Die Sozialarbeiterinnen des Frauenhauses versuchen, das Selbstvertrauen der Frauen aufzubauen und ihnen klarzumachen, dass ein würdevolles Leben für Frau und Kinder auch ohne Mann möglich ist. Mit dem Verkauf der BH’s konnte schon einigen Frauen und dem Frauenhaus geholfen werden, z.B. hat sich eine Frau eine Ausbildung finanzieren können, dank der sie mittlerweile auf eigenen Beinen steht.
Häusliche Gewalt in Rumänien ist ein leider viel zu aktuelles Thema, das tagtäglich grosses Leid verursacht. Vor allem in ländlichen Gebieten, wie die Region um Gheorgheni, werden Frauen häufig Opfer von Gewalt, da Probleme wie Alkoholismus und Arbeitslosigkeit und die sture Festhaltung an alten Rollenbildern weiter verbreitet sind. Auch die allgemeine Akzeptanz sexueller Gewalt in Rumänien ist erschreckend: 20 % der Befragten gaben an, dass erzwungener Geschlechtsverkehr in einer Beziehung nicht gesetzeswidrig sein sollte. Für 55 % der Befragten ist sexuelle Gewalt unter bestimmten Umständen, z.B. unter Alkoholeinfluss, entschuldbar. Das muss man sich mal vorstellen! Mehr als die Hälfte der Befragten denken tatsächlich, dass Sexualdelikte nicht zwingend die Schuld des Täters sind, ja, dass sie sogar entschuldbar sein können.
Im Mai dieses Jahres stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Rahmen eines wegweisenden Urteils unmissverständlich fest: Die Regierung Rumäniens bekämpft häusliche Gewalt in mangelhaftem Ausmass. Eine Frau wurde von ihrem Mann mehrmals gewalttätig angegriffen und musste bis zu 10 Tage medizinisch behandelt werden. Die rumänischen Behörden haben denn Ehemann weder zur Rechnung gezogen noch die Frau genügend vor zukünftigen Angriffen geschützt. In Rumänien steht häusliche Gewalt auch unter Strafe, zum Teil wird sie gar härter bestraft als in der Schweiz. Allerdings ist dies nur auf dem Papier so, wie der EGMR festgestellt hat, sieht die Realität anders aus. Und diese Realität hat gravierende Folgen für die Opfer von häuslicher Gewalt: Signalisiert die Regierung Gleichgültigkeit und werden die Täter nur selten verurteilt, wird doch keine Frau sich die Mühe machen, ihren Partner anzuzeigen. Das Problem der häuslichen Gewalt spielt sich also im Verborgenen ab: Tabuthema, Totschweigen, Rollenbilder, fehlende Schutzmassnahmen. Weiter geht der EGMR auf die Polizeistatistiken Rumäniens ein, die die Opfer von häuslicher Gewalt auf 1,2 Millionen pro Jahr schätzen und gleichzeitig eingestehen, dass die Dunkelziffer viel höher liegt. Auch wird in den Polizeistatistiken festgehalten, dass beispielsweise im Jahr 2011 nur 22 % der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt tatsächlich zu einer Strafverfolgung führten.
Laut dem Eurobarometer 2016 der Europäischen Kommission haben nur 22 % der rumänischen Frauen schon von Opferberatungsstellen in ihrem Umfeld gehört, das ihnen im Falle von häuslicher Gewalt weiterhelfen könnte. Diese Kennzahl unterstreicht einmal mehr, dass die rumänische Regierung mehr gegen häusliche Gewalt unternehmen muss. Zum Vergleich: In Deutschland haben 96 % der Frauen Kenntnis über derartige Beratungsstellen.
Armut, Perspektivenlosigkeit, feste Rollenbilder und die allgemeinen Lebensumstände führen dazu, dass von häuslicher Gewalt betroffene Frauen kaum aus dieser Gewaltspirale ausbrechen können. ora international möchte diesen Frauen zeigen, dass ein selbstbestimmtes, gewaltfreies Leben möglich ist und sie auf dem Weg dorthin begleiten.
Möchten Sie noch mehr über das Projekt erfahren? Dann klicken Sie hier.
Quellen:
- EGMR: https://www.romania-insider.com/human-rights-court-romania-domestic-violence/
- Studie zur Gewalt: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/gewalt-gegen-frauen-verstoerende-studie-14549269.html
- Europäische Kommission: http://ec.europa.eu/COMMFrontOffice/publicopinion/index.cfm/Survey/getSurveyDetail/instruments/SPECIAL/surveyKy/2115